04. Juni bis 24. Juni 2018
shakespeare d(r)amen
Illustrationen von Jacky Gleich, Anke Feuchtenberger, Susanne Janssen, Pascale Küng und Alice Wellinger
Schloss Elisabethenburg, Korridorbibliothek
Zum Jubiläumsjahr 2016 entstand ein besonderes Werk: Der Autor Bruno Blume schrieb Prosafassungen der fünf späten Tragödien William Shakespeares, die sich eng am Original orientieren und dennoch modern aufgefrischt sind: Hamlet, Othello, König Lear, Timon von Athen und Macbeth. In Stil und Verständlichkeit sind sie Erwachsenen wie Jugendlichen zugänglich. Für die unterschiedlichen Stücke gelang es, eine gemeinsame und doch individuell passende Form zu finden. Darüber hinaus wurden die zentralen Frauenfiguren gegenüber dem Original gestärkt. Begleitet wird die von Dr. Maren Goltz und der Regisseurin Elke Büchner gemeinsam kuratierte Ausstellung von einem Vermittlungsprogramm für Schulen auf den Gebieten des Schreibens (Bruno Blume), der Illustration (Jacky Gleich) und der Theaterpädagogik (Elke Büchner).
Shakespeare in Meiningen
Artikel von Dr. Maren Goltz, Meininger Museen
Shakespeare kennt sie gut, die Liebenden, Getriebenen und Zerriebenen, die Verbissenen, Gerissenen und die Zerschlissenen. Zwar ahnt man vor 400 Jahren nichts von flimmernden Bildschirmen. Und so anders sind die Bedingungen für Ernährung, Sexualität, Mobilität, Hygiene, Gesundheit, Kriegsführung, Arbeit und Bildung. Indessen: Das menschliche Miteinander scheint seither kaum verändert. Man eifert und geifert sich halt so durch die Zeiten. Sonderbar modern ist und bleibt Shakespeare vor diesem Hintergrund, ein schier unerschöpflicher Dauerbrenner. Meistgespielt, meistumjubelt, meistverfilmt, meistverkauft, meisterforscht und meistzitiert sind seine Werke.
Shakespeare ist Brite. Bis er auch auf hiesigen Bühnen heimisch wird, dauert es einige Zeit. Seit 250 Jahren wird er nun eingedeutscht, oft in Verbindung mit Theatervorstellungen. Um die Wende 1782/83 ist in Meiningen gerade wieder ein soziokulturelles Projekt im Gange. Liebhabertheater heißt es und ähnelt der Bürgerbühne von heute aufs Haar. An ein eigenes Haus dafür denkt damals noch keiner. Gut aufgehoben ist das Theater schließlich seit Jahrzehnten in Schloss Elisabethenburg, und dort im Riesensaal. Beteiligung ist das große Thema. Angesprochen fühlen sich Leute aus verschiedenen Schichten, Prinzen, Prinzessinnen, Pagen, Hofdamen, Kammerherren und seit neuestem auch Meininger Bürgerinnen und Bürger. Nach elf Jahren dieser feudal-bürgerlichen Eigenproduktionen haben offenbar alle Lust auf Abwechslung. Im April 1787 erhalten zehn wandernde Schauspieler die herzogliche Erlaubnis, eine Saison lang das Schlosstheater zu bespielen. Die von den Herren Toscani und Santorini angeführte Truppe gastiert mit 40 Vorstellungen, darunter Operetten, Konzerte und Theaterstücke. Und siehe da: Man hat auch einen Shakespeare im Gepäck. DER HAMLET wird am vierten Abend aufgeführt. Und nach eher lauem Beginn schlägt diese Vorstellung ein wie der Blitz. Seine Hoheit der Herzog scheint nach der Vorstellung ganz aus dem Häuschen. Denn er ist anschließend nicht davon abzuhalten trotz feucht-kalten Wetters im Garten zu nächtigen. Zum Schluss der Saison im Juni wiederholt man den überraschend guten HAMLET. Im Herbst steht LEAR auf dem Programm, im neuen Jahr MACBETH.
Dies ist der Beginn der Meininger Shakespeare-Tradition, die in der Folgezeit ganz und gar eigenständige Züge entwickelt. Wohl noch zu Lebzeiten Georgs I. erwirbt die Herzogliche Privatbibliothek die epochale Schlegel-Übersetzung in 9 Bänden. Sohn Bernhard II. (31) baut das erste stehende Theater Meiningens, mit 750 Plätzen. Hier lässt er regelmäßig Shakespeare spielen, Sonderwünsche werden gewöhnlich an Geburtstagen erfüllt. Namhafte Interpreten lädt man auch sonst gern ein. Erbprinz Georg wächst in diese familiäre Shakespeare-Tradition hinein. Beizeiten liest ihm Lehrer Seebeck aus den Königsdramen vor, um ihm die englische Geschichte nahe zu bringen. Von MACBETH erstellt der Jugendliche eine eigene Textfassung. Zum Studium in Bonn zieht ihn womöglich nicht nur die Tradition, sondern auch die Vorlesungen über LEAR und MACBETH. Bei seinem Regierungsantritt 1866 könnte Herzog Georg II. mehr als die Hälfte der 23 Dramen aus Inszenierungen des väterlichen Hoftheaters kennen, darunter OTHELLO, HAMLET, LEAR und MACBETH. Auf Reisen im In- und Ausland nimmt er jede Gelegenheit für Theaterbesuche wahr. Was der frisch gekürte Herzog bis zu diesem Zeitpunkt erfahren hat, prägt sein weiteres Leben und sein Verständnis von Theater. Den Lieblings-Dramatiker zu lesen, zu hören, auf der Bühne zu erleben und in diversen Runden zu diskutieren ist ein entscheidender Impuls für ihn, selbst Theater zu gestalten.
Der Meininger Herzog ist nicht nur Gründungsmitglied der Deutschen Shakespeare-Gesellschaft. Im Jahr seines Amtsantrittes lässt Georg II. dort auch verlauten, dass sein Theater in die Reihe der Shakespeare-Bühnen eingetreten sei. Und seine erste Regenten-Spielzeit eröffnet er mit einer Aufführung des HAMLET. Mittels Theater Geschichte zu erzählen wird für ihn zum wesentlichen Prinzip. Dafür forscht er, kauft neueste Übersetzungen sowie Fachliteratur, besucht Museen, tauscht sich aus mit Literaturhistorikern, Theaterpraktikern und Kritikern. Und er zeichnet. Unsummen gibt der Herzog für deren Umsetzung aus und lässt Bühnenbilder, Requisiten und Kostüme anfertigen. Sogar um einen eigenen Übersetzer bemüht er sich: Friedrich Bodenstedt.
Meiningens üppig ausgestattetes Theater wird zum Mekka für Theaterbegeisterte und zum Exportschlager. Kein Gastspiel ohne Shakespeare. Der Autor gehört zum Repertoire wie Goethe, Schiller und Kleist u. a. Und doch bildet er eine Ausnahme, allen voran die Tragödie um Julius Cäsar, das Intro jeder Tournee. Mit im Boot sind zumeist das WINTERMÄRCHEN, WAS IHR WOLLT, DER KAUFMANN VON VENEDIG und DER WIDERSPENSTIGEN ZÄHMUNG. Die Vorstellung dreier Shakespeare-Inszenierungen in London im Frühsommer 1881 gerät fast zur Staatsaktion. Hingerissen und inspiriert scheint das Publikum. Und doch gilt gerade für Shakespeare: Gereist wird nur mit einem Bruchteil der einstudierten Stücke. Die Meininger führen die Tradition des europäischen Kulturaustausches fort mit ihren Ensembles. Historisch informiert ist man, würden wir heute sagen, schlüssig im Konzept und schwelgt in üppiger Performance. Management und Marketing sind gleichermaßen optimiert. All dies dient dem Vermitteln von Geschichte(n). Georg II. selbst beendet seinen Annäherungsprozess an das Werk übrigens nie. Auch seine Shakespeare-Versuche gestaltet er als einen offenen Prozess. Er inszeniert, stellt zur Diskussion und ändert. So reagiert er 1884 auf die Rezension im Rheinischen Kurier über ein CÄSAR-Gastspiel mit dem Plan zu verbessern, auch wenn die Inszenierung allein auswärts bereits 203 Male aufgeführt wurde. Auch nach dem Ende der Gastspielreisen 1891 hält man an Shakespeare fest. Als man danach zahlreiche Bühnenbilder verkauft, verbleiben zentrale Dekorationen im Bestand des Theaters.
Zwar lehnt es der Herzog ab, sich an der Errichtung des europaweit ersten Shakespeare-Standbildes in Weimar (1904) zu beteiligen. Doch nachdem ihm sein geliebtes Theater abbrennt, nutzt er die Gunst der Stunde und setzt ihm ein eigenes Denkmal. Eröffnet wird das neue Haus mit den knapp 900 Plätzen vom Herzog (83) aber mit … Schiller. Die Shakespeare-Büste zieht Monate nach den Feierlichkeiten ein. Von wo man in den folgenden Jahren auch immer das Foyer betritt, entdeckt man ganz zur Linken zu allererst Shakespeare an der Fensterfront, als einzigen nicht deutschsprachigen Künstler. Die Meininger Shakespeare-Tradition macht auch außerhalb Thüringens Schule. Dafür sorgen auch Meininger Schauspieler.
Vieles hat sich seitdem verändert. Der Tod von Herzog Georg II. und das Ende der Monarchie im November 1918 hätten um ein Haar das Schicksal des Ensembles besiegelt; schließlich übernimmt das Land Thüringen das Theater. Es folgten zwei Diktaturen mit den ihnen eigenen komplexen Bedingungen für künstlerische Arbeit. Staatliche Förderung, aber auch personale und inhaltliche Eingriffe, anspruchsvolle Leistungen im (vermeintlich) rein künstlerischen Bereich, aber auch direkte und indirekte Instrumentalisierung im Sinne der Systeme prägten diese Zeit. Die Tradition des Theaters wird in dieser Zeit häufig da hochgehalten, wo es zu passen scheint.
Von hervorragender Qualität sind die Meininger Shakespeare-Inszenierungen auch heute. Wer erinnert sich nicht an den HAMLET mit Christian Erdmann in der Hauptrolle und die glänzende Collage MÄCHTIGE, MENSCHEN, MÖRDER (2001/2003, R: Karl Georg Kayser) sowie an WAS IHR WOLLT (2002, R: Matthias Brenner). Dass das Kinder- und Jugendtheater Tohuwabohu mit Elke Büchners WINTERMÄRCHEN-Adaption beim PAPAGENO AWARD 2015 der Reiman Akademie Salzburg mit dem Großen Preis der Jury und damit erstmals eine Meininger Shakespeare-Interpretation international ausgezeichnet wird, spricht für die kulturelle Vielstimmigkeit Meiningens.